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5 Minuten Lesezeit

Besondere Fähigkeiten bei ADHS!

Ich habe ADHS oder auch ADS lange für eine Art Kinderkrankheit gehalten, die sich irgendwann auswächst. Inzwischen weiß ich, dass es:

Deshalb finden sich auch immer mehr Erwachsene mit dieser Diagnose. So auch Paul, den ich bei einem Rhetorik-Workshop kennengelernt habe. Paul ist erfolgreicher Unternehmer und seine Geschichte zeigt, was sich in der jüngsten ADHS-Forschung bestätigt:

ADHS bedeutet eine große Herausforderung, birgt aber auch Potenzial!

Der Begriff ADHS- Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung- betont 2 Dinge:

  1. das Defizit und
  2. die Störung.

Diese Betrachtung ist nicht untypisch, weil wir dazu neigen, Phänomene, die nicht der Norm entsprechen, erst einmal abzuwerten. Ganz zaghaft werden inzwischen auch positive Besonderheiten von ADHS beforscht.

Knapp 5% der Erwachsenen scheinen betroffen sein und diese Menschen befinden sich damit in der Gesellschaft auch vieler Prominenter, wie beispielsweise Jan Ullrich, Justin Timberlake, Tom Cruise oder Diane Kruger.

ADHS wird erst seit den 1990ern diagnostiziert. Weil Paul Anfang der 1970er Jahre geboren wurde, ging es ihm, wie vielen ADHSlern seiner Generation.

Er wurde schon früh als verhaltensauffällig eingestuft:

Seine Schulzeit war kurzgesagt ein Desaster und weil Pauls Verhalten zu dieser Zeit niemand richtig einordnen konnte, dachte er lange Zeit, er wäre eben einfach unfähiger als andere. Aber ...

Informationen werden normalerweise automatisch gewichtet und gefiltert:

d.h. wir denken, wir assoziieren und wir fühlen uns auch dementsprechend.

Gesteuert wird dies durch die Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin:

Diese chemische Navigationshilfe sorgt dafür, dass wir uns mit nur einem kleinen Teil der insgesamt verfügbaren Information beschäftigen müssen.

Bei ADHS stehen weniger dieser Botenstoffe zur Verfügung; das bedeutet, es gibt insgesamt weniger Filterleistung und dadurch eine viel höhere Datenmenge, die zu verarbeiten ist. Man kann hier auch von einem Datennebel sprechen.
Sich zu orientieren dauert deshalb länger, sich zu organisieren wird schwieriger.

Neben dieser Filterung und Gewichtung von Information gibt es noch einen weiteren Unterschied in der Hirnfunktion und das ist das Ansteuern und Dosieren von Funktionen.
Das kann sich in 4 Bereichen zeigen:

  1. das Konzentrieren
  2. das Steuern von Wahrnehmung
  3. die Steuerung von Impulsen
  4. die Organisation von Aktivitäten.

Die Steuerungszentrale kann bei ADHS weniger aktiv sein. Bezüglich der Ansteuerung der Konzentrationsfähigkeit, sind Personen mit ADHS dann beispielsweise leicht abgelenkt.

Auch die Steuerung der Wahrnehmung spielt eine Rolle: Sie reguliert, welche Reize unserer Sinnesfunktion zur Wahrnehmung zugelassen werden. Normalerweise wird das situativ angepasst.

Beispiel:

Ein Fußballer wird den Schmerz eines heftigen Remplers beim Spiel auf dem Rasen anders wahrnehmen als einen Schmerz gleicher Stärke beim entspannten Sonnenbaden.

Diese situative Regulation kann bei ADHS nach oben oder auch unten verschoben sein. Dann wird auf Sinnesreize wie Lärm, Gerüche, Licht teils viel empfindlicher reagiert oder jemand reagiert garnicht, weil die Wahrnehmung auch blockiert sein kann.

Zu den bekanntesten möglichen Symptomen bei ADHS gehört im Zusammenspiel mit der Hyperaktivität auch die stärkere Impulsivität. Bei Kindern zeigt sich das eventuell in einem aufbrausenden, wilden Verhalten. Erwachsene haben meist gelernt das besser zu kontrollieren.

Im Berufsleben zeigen sich dann etwa Besonderheiten beim Impuls zu sprechen:

Die Impulsregulation spielt aber auch in anderen Feldern eine Rolle, beispielsweise beim Konsum.

Die 4.Kategorie betrifft die Organisationsfähigkeit. Manchen Menschen mit ADHS fällt es schwer,

Die genetische Kondition ADHS ist per se keine Krankheit, sondern eine Art Normvariante. Man spricht auch von Neurodiversität. Wenn sich ein Krankheitswert entwickelt, dann entsteht er erst durch die Interaktion mit dem Umfeld. Wenn die Rückmeldungen von anderen negativ ausfallen oder das Lernen mit Misserfolgserlebnissen verbunden ist, dann leidet beispielsweise der Selbstwert darunter. Und daraus entstehen wieder viele nachgelagerte Probleme!

So auch bei Paul: Seine Mutter war Lehrerin und die beiden haben es irgendwie geschafft ihn durchs Abitur zu bringen. Weil er sich für Technik interessierte , aber nicht so gut lernen konnte, entschied er sich für eine Lehre als Werkzeugmacher. Das klappte so mäßig und die Prüfung schaffte er dann im 2. Anlauf.

Dann brachte ein Ereignis für ihn eine bedeutende Wende:

Es passierte während seiner Zeit bei der freiwilligen Feuerwehr. Da gab es einen Routineeinsatz, der sich plötzlich als sehr riskant entpuppte, eine kritische Situation und er war derjenige, der geistesgegenwärtig die eine, richtige Entscheidung traf.

Das war das 1. Mal, dass Paul wirklich bewusstwurde, dass er etwas besser konnte als seine Kollegen.

Für diese besondere Klarsicht in stressigen Notsituation, gibt es inzwischen auch wissenschaftliche Belege in der ADHS-Forschung, aber ...


Eine Untersuchung im Jahr 2007 zeigte, dass ADHSler überdurchschnittlich hilfsbereit sind und
dass ihre Performance bei Unfällen, Katastrophen und in Notfallsituationen oft außergewöhnlich ist.

Unter Nothelfern und Notfallärzten findet man auffallend viele Personen mit ADHS. Aber auch in anderen Berufen, die Improvisationstalent erfordern und phasenweise akut stressig werden können, sind ADHSler stark vertreten, beispielsweise im Showbusiness oder im Börsenhandel.

Während Menschen ohne ADHS unter unklaren Bedingungen und Stress eher schlechter performen, ist es mit ADHS genau umgekehrt. Der erhöhte Adrenalinspiegel bewirkt eine vermehrte Ausschüttung der Botenstoffe, die dem ADHSler normalerweise fehlen und sorgt für die erstaunliche Klarsicht.

Zusätzlich spielt es in Notfallsituationen eine Rolle, dass ADHSler Zeit ihres Lebens gezwungen sind, mit ihrem Datennebel zurechtzukommen. Ein Großteil verfügt folglich über außergewöhnliche Erfahrung und überdurchschnittliches Training im Umgang mit unklaren Situationen. Sie sind handlungsfähiger und können angemessene Entscheidungen treffen. Den wenigsten ist das überhaupt als besondere Fähigkeit bewusst.

Zurück zu Paul:
eine weitere Stärke konnte er bei sich feststellen, als er sich in seinen 30ern entschied, sich selbständig zu machen, ein Unternehmen zu gründen. Er verschlang unermüdlich einschlägige Literatur, stellte Anträge, hatte eine schier unendliche Energie und konnte sich richtig verbeißen in die anstehenden Aufgaben.

Diese Fähigkeit sich besonders ausgeprägt und auch dauerhaft zu konzentrieren, ist eine 2. besondere Fähigkeit bei ADHS. Man nennt das Positives Hyperfokussieren:

Ein niederländisches Forscherteam ist in 2022 auf die Idee gekommen, 200 Betroffene auch mal nach den Vorteilen von ADHS zu befragen. Die häufigsten Nennungen waren Kreativität, Energie und Enthusiasmus.

Das sind auch Eigenschaften, die Paul an sich schätzen kann, aber dennoch hat er nach wie vor mit einigen Herausforderungen seiner ADHS zu tun:

Er ist impulsiv, manchmal kränkend ehrlich und das „Zuhören können“ wird wohl auch nie zu seiner Kernkompetenz werden.

Aber die Selbstzweifel quälen ihn nicht mehr, seit er sich eine Arbeitssituation geschaffen hat, die zu ihm passt.

Für Paul ist beispielsweise ein Einzelarbeitsplatz wichtig, weil er Ablenkungen von außen so besser steuern kann.

Ich kenne aber auch eine Führungskraft mit ADHS, bei der die Ablenkungen von innen kommen, in Form ständig einschießender Gedanken. Für ihn ist ein Gruppenbüro viel günstiger, weil die Außengeräusche ihn sogar entlasten.

Und das ist bei ADHS vielleicht die größte Herausforderung: Die Symptome sind so vielfältig und individuell, es gibt keine Strategie, die für jeden passt.

Aber man kann sich Anregungen holen!

Bei der Recherche zum Thema ADHS bin ich auf eine „Akademie für Lerncoaching" gestoßen, in der Schweiz. Dort kann man einen Fragebogen herunterladen, der sich an positiven Fähigkeiten von Menschen mit ADHS orientiert, beispielsweise den besonderen Stärken im Verkauf oder in der Service-Orientierung.

Diesen Perspektivwechsel finden wir in Zukunft hoffentlich häufiger!

Falls Sie sich fragen, wann Paul festgestellt hat, dass er ADHS hat:
Sein Sohn hat diese Diagnose bekommen. Wegen der vielen Parallelen im Verhalten hat er sich dann auch selbst testen lassen.

Falls Sie nach Anregungen suchen, den Alltag zu gestalten oder ADHS noch besser verstehen wollen, hier ein Literaturtipp:
Heiner Lachenmeier; Mit ADHS erfolgreich im Beruf: So wandeln Sie vermeintliche Schwächen in Stärken um. Springer Verlag

Ein Psychiater mit ADHS schreibt für ADHSler. Sehr empfehlenswert!


Diesen Blogartikel gibt es hier auch als Video!

Über die Autorin:

Kerstin March ist Diplom-Psychologin, Dozentin und Coach. Sie unterstützt Führungskräfte dabei, wirkungsvoll zu kommunizieren und sich als Führungspersönlichkeit authentisch weiterzuentwickeln. Ihr Blog und die kostenfreien Video-Coachings unterstützen Interessierte dabei, ihren Job mit mehr Kompetenz und Gelassenheit anzugehen!

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